Rainer Maria Rilke

Rainer Maria Rilke

04.12.1875 - 29.12.1926

Deutscher Lyriker und Schriftsteller

Abend
Abend
Abend
Abend hat mich müd gemacht
Abend in Skaane
Abend in Skåne
Abendmahl
Absaloms Abfall
Adam
Advent
Agnes Gräfin von Klinckowström
Albert Langen
Alkestis
Allerseelen
Alphonse Mucha
Als ich die Universität bezog
Am Kirchhof zu Königsaal
Am Rande der Nacht
An der Ecke
An Julius Zeyer
Archaic Torso of Apollo
Archaïscher Torso Apollos
Arco
Argwohn Josephs
Auf dem Wolschan
Auf der Kleinseite
Auf einmal faßt die Rosenpflückerin
Auferstehung
Aus dem dreißigjährigen Kriege
Aus dem Leben eines Heiligen
Aus den Blättern eines Mönchs
Aus der Kinderzeit
Aus einem April
Aus einer Kindheit
Aus einer Sturmnacht
Auswanderer-Schiff
Autumn
Autumnal Day
Bangnis
Barbaren
Baronin von Dickinson-Hennet
Begegnung in der Kastanien-Allee
Bei den Kapuzinern
Bei den Ursulinen
Bei dir ist es traut
Bei Nacht
Bei St. Heinrich
Bei St. Veit
Bildnis
Bist Du so müd?
Bist gewandert durch Wahn und Weh
Blaue Hortensie
Blühe, blühe Blütenbaum
Brunnen
Buddha
Buddha in der Glorie
Corrida
Dame auf einem Balkon
Dame vor dem Spiegel
Damen-Bildnis aus den achtziger Jahren
Das Abendmahl
Das arme Kind
Das Bett
Das Einhorn
Das Gold
Das Heimatlied
Das jüngste Gericht
Das jüngste Gericht
Das Kapitäl
Das Karussell
Das Kind
Das Kloster
Das Lied der Bildsäule
Das Lied der Waise
Das Lied der Witwe
Das Lied des Aussätzigen
Das Lied des Bettlers
Das Lied des Blinden
Das Lied des Idioten
Das Lied des Selbstmörders
Das Lied des Trinkers
Das Lied des Zwerges
Das Märchen von der Wolke
Das Roseninnere
Das Volkslied
Das Wappen
Delphine
Der Abenteuerer
Der Alchimist
Der Apfelgarten
Der Auferstandene
Der aussätzige König
Der Auszug des verlorenen Sohnes
Der Balkon
Der Ball
Der Bau
Der Berg
Der Blinde
Der Einsame
Der Einsame
Der Engel
Der Engel
Der Fahnenträger
Der Fremde
Der Hradschin
Der Hund
Der junge Bildner
Der Junggeselle
Der Käferstein
Der kleine ›Dráteník‹
Der Knabe
Der König
Der König von Münster
Der Lesende
Der Leser
Der Letzte
Der letzte Graf von Brederode
Der letzte Sonnengruß
Der Marmor-Karren
Der Nachbar
Der Novembertag
Der Ölbaum-Garten
Der Panther
Der Pavillon
Der Platz
Der Reliquienschrein
Der Sänger singt vor einem Fürstenkind
Der Schauende
Der Schutzengel
Der Schwan
Der Sohn
Der Stifter
Der Stylit
Der Tod der Geliebten
Der Tod des Dichters
Der Träumer
Der Turm
Der Wahnsinn
Des Lied der Waise
Detlev von Liliencron
Dich aber will ich nun, Dich, die ich kannte
Die achte Elegie
Die ägyptische Maria
Die alte Uhr
Die Anfahrt
Die Aschanti
Die aus dem Hause Colonna
Die Berufung
Die Bettler
Die Blinde
Die Brandstätte
Die Braut
Die Darstellung Mariae im Tempel
Die dritte Elegie
Die Engel
Die Entführung
Die Erblindende
Die erste Elegie
Die Erwachsene
Die Fensterrose
Die Flamingos
Die fünfte Elegie
Die Gazelle
Die Genesende
Die Greisin
Die Gruppe
Die Heilige
Die Insel der Sirenen
Die Irren
Die Kathedrale
Die Konfirmanden
Die Kurtisane
Die Laute
Die Liebende
Die Liebende
Die Marien-Prozession
Die Mutter
Die Mutter
Die Nacht holt heimlich durch des Vorhangs Falten
Die neunte Elegie
Die Parke
Die Rosenschale
Die Schwestern
Die sechste Elegie
Die siebente Elegie
Die Sonnenuhr
Die Stille
Die Treppe der Orangerie
Die Versuchung
Die vierte Elegie
Die Worte des Engels
Die Zaren
Die zehnte Elegie
Die zweite Elegie
Dir aber, Herr, o was weih ich dir, sag
Don Juans Auswahl
Don Juans Kindheit
Dorfsonntag
Du
Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner
Du bist so fremd
Du hast mir, Sommer, der du plötzlich bist
Du hast so grosse Augen, Kind
Du sahst in hohe Lichthofmauern
Du willst Dir einen Pagen küren?
Du, Hände, welche immer geben
Early Apollo
Ein Adelshaus
Ein Anderes
Ein Doge
Ein Frauen-Schicksal
Ein Händeineinanderlegen
Ein Prophet
Eine Sibylle
Eine von den Alten
Eine Welke
Eingang
Einsamkeit
Emanuel von Bodman
Emil Orlik II
Emil Orlik I
Ende des Herbstes
Eranna an Sappho
Erinnerung
Ernst Rosmer
Ernst von Wolzogen
Ernste Stunde
Esther
Eva
Falken-Beize
Fortschritt
Fragmente aus verlorenen Tagen
Franziska Gräfin zu Reventlow
Frau Carry Brachvogel
Frau Hanna Hegeler
Frau Hofrat Stieler
Frau Kommerzienrat Weinmann
Frau Luise Max-Ehrler
Freiheitsklänge
Fremd ist, was deine Lippen sagen
Fremde Familie
Fritz Graf von Jenison
Früher Apollo
Frühling
Für eine Freundin
Für Wolf Graf von Kalckreuth
Gebet
Geburt Christi
Geburt der Venus
Geburt Mariae
Gerichtet
Gesang der Frauen an den Dichter
Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?
Gott im Mittelalter
Grabmal eines jungen Mädchens
Growing Blind
Gustav Falke
Hans Thoma
Heil dem Geist, der uns verbinden mag
Heilige
Heinrich von Reder
Herbst
Herbststimmung
Herbsttag
Hetären-Gräber
Hinter Smichov
Hörst du das Neue, Herr
Hugo Salus
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort
Ich gehe unter rothen Zweigen
Ich ging durch ein Land
Ich musste denken unverwandt
Im alten Hause
Im Dome
Im Erkerstübchen
Im Herbst
Im Kreuzgang von Loretto
Im Saal
Im Sommer
Im Straßenkapellchen
Im Stübchen
Immer wieder von uns aufgerissen
In April
In der Certosa
In der Kapelle St. Wenzels
In der Vorstadt
In Dubiis
In einem fremden Park
Initiale
Initiale II
Irre im Garten
Ja, früher – wenn ich an Dich dachte
Jar. Vrchlický
Jens Peter Jacobsen
Jeremia
Josuas Landtag
Jugend-Bildnis meines Vaters
Kaiser Rudolf
Kajetan Týl
Kämpfen
Karl der Zwölfte von Schweden reitet in der Ukraine
Kindheit
Klage
Klage um Antinous
Klage um Jonathan
König Abend
Königslied
Kretische Artemis
Kreuzigung
L'Ange du Méridien
Lament
Land und Volk
Landschaft
Leda
Legende
Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten
Leichenwäsche
Leise weht ein erstes Blühn
Letzter Abend
Lieben
Liebes-Lied
Lied vom Meer
Lolo Ganghofer
Loris
Love Song
Ludwig Ganghofer
Mädchen-Klage
Mädchenmelancholie
Madness
Magnificat
Maitag
Manchmal fühlt sie
Mariae Heimsuchung
Mariae Verkündigung
Martyrinnen
Maurice Maeterlinck
Mein Geburtshaus
Memories of a Childhood
Menschen bei Nacht
Michael Georg Conrad
Mir
Mir ist oft, dass ich fragen müsst’
Mir ist: ich muss Dir den Brautnachtstrauss
Mir war so weh
Mit unsern Blicken schließen wir den Kreis
Mittelböhmische Landschaft
Mondnacht
Morgue
Music
Musik
Nachtbild
Nächtliche Fahrt
Nathan Sulzberger
Noch Eines
O erst dann, wenn der Flug
O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze
Offering
Opfer
Orpheus. Eurydike. Hermes
Östliches Taglied
Otto Julius Bierbaum
Papageienpark
Persisches Heliotrop
Peter Altenberg
Pont du Carrousel
Pont du Carrousel
Presaging
Prinz Emil zu Schönaich-Carolath
Purpurrothe Rosen binden
Quai du Rosaire
Rabbi Löw
Rast auf der Flucht in Aegypten
Remembrance
Requiem
Richard Dehmel
Ritter
Römische Campagna
Römische Fontäne
Römische Sarkophage
Rosa Hortensie
Samuels Erscheinung vor Saul
San Marco
Sankt Georg
Sankt Sebastian
Sappho an Alkaïos
Sappho an Eranna
Saul unter den Propheten
Schlaflied
Schlafmohn
Schlangenbeschwörung
Schlußstück
Schwarze Katze
Schwindende, du kennst die Türme nicht
Selbstbildnis aus dem Jahre 1906
Sie war
Siegen
Silent Hour
Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst
Solitude
Sollen wir unsere uralte Freundschaft
Sommerabend
Spanische Tänzerin
Spätherbst in Venedig
Sphinx
Steinlen
Stiller Freund der vielen Fernen
Stillung Mariae
Strophen
Sturm
Superavit
Tanagra
The Angels
The Ashantee
The Bride
The Knight
The Neighbour
The Panther
The Spanish Dancer
The Tomb of a Young Girl
Titelblatt
Todes-Erfahrung
Totentanz
Träume
Träumen
Tröstung des Elia
Trotzdem
Übung am Klavier
Und das Letzte
Und dieser Frühling macht dich bleicher
Und Du warst schön
Unser Abendgang
Venedig
Venezianischer Morgen
Verkündigung
Verkündigung über den Hirten
Vigilien
Volksweise
Voller Apfel, Birne und Banane
Vom Lugaus
Von den Fontänen
Von den Mädchen
Von der Hochzeit zu Kana
Vor dem Sommerregen
Vor der Passion
Vor-Ostern
Vorgefühl
Walter Caspari
Wandelt sich rasch auch die Welt
Wartet..., das schmeckt... Schon ists auf der Flucht
Was reisst ihr aus meinen blassen, blauen
Weisst Du, dass ich Dir müde Rosen flechte
Weisst du, ich will mich schleichen
Wem sind wir nah?
Wenn ich Dir ernst ins Auge schaute
Wenn wie ein leises Flügelbreiten
Wenns Frühling wird
Wie hat uns der zu weite Raum verdünnt
Wie meine Träume nach Dir schrein
Wie rief ich dich. Das sind die stummen Rufe
Wilhelm und Irmgard von Scholz
Will Dir den Frühling zeigen
Wintermorgen
Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht
Wir sind die Treibenden
Wo sind die Lilien aus dem hohen Glas
Zauber
Zu unterst der Alte, verworrn
Zum Einschlafen zu sagen

Rainer Maria Rilke (* 4. Dezember 1875 in Prag; † 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont bei Montreux, Schweiz; eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke) war ein Lyriker deutscher Sprache. Mit seiner in den Neuen Gedichten vollendeten, von der bildenden Kunst beeinflussten Dinglyrik gilt er als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne. Daneben verfasste er Erzählungen, einen Roman und Aufsätze zu Kunst und Kultur sowie zahlreiche Übersetzungen von Literatur und Lyrik unter anderem aus dem Französischen. Sein umfangreicher Briefwechsel bildet einen wichtigen Bestandteil seines literarischen Schaffens.

Kindheit und Ausbildung (1875–1896)

Rilke wurde als René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke am 4. Dezember 1875 in Prag geboren, das damals wie ganz Böhmen zu Österreich-Ungarn gehörte. Der Vater, Josef Rilke (1839–1906), war nach gescheiterter militärischer Karriere Bahnbeamter geworden. Die Familie stammte väterlicherseits aus Türmitz im Sudetenland. Seine Mutter, Sophie „Phia“ Entz (1851–1931), eine ebenso prätentiöse wie ehrgeizige Frau, entstammte einer wohlhabenden Prager Fabrikantenfamilie. Ihre Hoffnungen auf ein vornehmes Leben fand sie in ihrer Ehe nicht erfüllt. 1884 brach die Ehe der Eltern auseinander.
Auch das Verhältnis zwischen der Mutter und dem einzigen Sohn war belastet, weil sie den frühen Tod der älteren Tochter nicht verkraftete, die 1874 – ein Jahr nach der Eheschließung – geboren wurde und nach einer Woche starb. Aus emotionaler Hilflosigkeit heraus band sie René – französisch für „der Wiedergeborene“ – an sich und drängte ihn in die Rolle seiner verstorbenen Schwester. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr fand sich Rilke so als Mädchen erzogen, frühe Fotografien zeigen ihn mit langem Haar, im Kleidchen.

Auf Druck der Eltern besuchte der dichterisch und zeichnerisch begabte Junge ab 1885 eine Militärrealschule in St. Pölten zur Vorbereitung auf eine Offizierslaufbahn. Die Zumutungen militärischen Drills und die Erfahrungen einer reinen Männergesellschaft traumatisierten den zarten Knaben nachhaltig. 1891 brach er krankheitshalber seine militärische Ausbildung ab. Daran schloss sich ein Besuch der Handelsakademie Linz an. Doch schon im Mai 1892 musste er Linz wegen einer nicht geduldeten Liebesaffäre mit einem einige Jahre älteren Kindermädchen unfreiwillig verlassen. Damit war nach der militärischen auch eine wirtschaftliche Karriere aussichtslos geworden. Zurück in Prag konnte Rilke sich von 1892 bis 1895 in privatem Unterricht auf die Matura vorbereiten, die er 1895 bestand. Im selben Jahr begann er Literatur, Kunstgeschichte, Philosophie in Prag zu studieren, wechselte ab 1896 zur Rechtswissenschaft und setzte seine Studien ab September in München fort.

Entwicklungsjahre (1897–1902)

m März 1897 besuchte Rainer Maria Rilke das erste Mal Venedig. Am 12. Mai 1897 traf er in München die weitgereiste Intellektuelle und Literatin Lou Andreas-Salomé und verliebte sich in sie. Auch änderte er seinen Vornamen von René in Rainer, weil Lou Andreas-Salomé den Namen für einen männlichen Schriftsteller angemessener fand. Die folgende intensive Beziehung mit der älteren und verheirateten Frau dauerte bis 1900 an. Auch nach der Trennung erwies sich Lou Andreas-Salomé bis an Rilkes Lebensende als seine wichtigste Freundin und Beraterin. Dabei werden ihre psychoanalytischen Kenntnisse und Erfahrungen, die sie sich 1912/13 bei Sigmund Freud angeeignet hatte, eine erhebliche Rolle gespielt haben. Freud berichtet, „daß sie dem großen, im Leben ziemlich hilflosen Dichter Rainer Maria Rilke zugleich Muse und sorgsame Mutter gewesen war“ (Sigmund Freuds Gedenkworte zum Tode Lou Andreas-Salomés, 1937).
Rilke folgte Lou Andreas-Salomé im Herbst 1897 nach Berlin und bezog eine Wohnung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. In Berlin lernte Rilke das Geschwisterpaar Mathilde und Karl Gustav Vollmoeller anlässlich einer Lesung Stefan Georges im Hause des Künstlerehepaares Sabine und Reinhold Lepsius kennen. 1898 unternahm er eine mehrwöchige Reise nach Italien. In den beiden Jahren darauf besuchte er zweimal Russland: 1899 reiste er mit dem Ehepaar Andreas nach Moskau, wo er Lew Tolstoi traf. Von Mai bis August des Jahres 1900 folgte eine zweite Russlandreise mit Lou Andreas-Salomé allein, nach Moskau und Sankt Petersburg, aber auch quer durch das Land und die Wolga hinauf. Auf dieser Reise lernten sie durch Zufall Boris Pasternak kennen, der diese Begegnung in der autobiographischen Erzählung „Der Schutzbrief“ beschreibt.
Im Herbst 1900, unmittelbar nachdem Lou Andreas-Salomé den Entschluss gefasst hatte, sich von ihm zu trennen, hielt Rilke sich zu einem längeren Besuch bei Heinrich Vogeler in Worpswede auf. Vogeler veranstaltete im Weißen Saal seines Barkenhoffs sonntägliche Treffen, wo neben Otto Modersohn, Paula Modersohn-Becker, Carl Hauptmann auch die Bildhauerin Clara Westhoff verkehrte. Clara Westhoff und Rainer Maria Rilke heirateten im folgenden Frühjahr. Im Dezember 1901 wurde ihre Tochter Ruth (1901–1972) geboren. Bereits im Sommer 1902 gab Rilke jedoch die gemeinsame Wohnung auf und reiste nach Paris, um dort eine Monografie über den Bildhauer Auguste Rodin zu verfassen. Die Beziehung zwischen Rilke und Clara Westhoff blieb zeit seines Lebens bestehen, doch war er nicht der Mensch für ein bürgerliches und ortsgebundenes Familienleben. Gleichzeitig drückten ihn finanzielle Sorgen, die durch Auftragsarbeiten nur mühsam gemildert werden konnten.

Die mittlere Schaffensperiode (1902–1910)

Die erste Pariser Zeit war für Rilke schwierig, da die fremde Großstadt viele Schrecken barg. Diese Erfahrungen hat Rilke später im ersten Teil seines einzigen Romans Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge gestaltet. Zugleich aber brachte die Begegnung mit der Moderne zahlreiche Anregungen: Rilke setzte sich intensiv zunächst mit den Plastiken Auguste Rodins, dann mit dem Werk des Malers Paul Cézanne auseinander. Mehr und mehr wurde in diesen Jahren Paris zum Hauptwohnsitz des Dichters. Von 1905 bis 1906 war Rilke für acht Monate als Sekretär bei Auguste Rodin angestellt, der ihm gleichzeitig eine idealisierte Vaterfigur war. Das Dienstverhältnis beendete Rodin im Mai 1906 abrupt. Kurz zuvor war Rilkes Vater gestorben. Im selben Jahr lernte Rilke Sidonie Nádherný von Borutin kennen, mit der er eine erotisch desinteressierte, aber von Eifersucht nicht ungetrübte literarische Freundschaft und einen ausgedehnten Briefwechsel bis zu seinem Tod führte: Nachdem Sidonie 1913 in Wien den Schriftsteller Karl Kraus kennengelernt hatte, war es Rilke, der sie vor Kraus warnte. Diese Einmischung in eine komplizierte Liebesbeziehung hat er später bereut.
Ab 1906 intensivierte sich der Kontakt Rilkes zu Mathilde und Karl Gustav Vollmoeller. Zunächst nutzte er in Abwesenheit Mathildes deren Pariser Atelier mehrmals. Gleichzeitig versuchte Rilke anlässlich seiner Italienreise 1907, Vollmoeller in dessen Villa in Sorrent zu besuchen. Erst über Ostern 1908 kam es zum neuerlichen Treffen zwischen Rilke und Vollmoeller in Florenz. Rilke war hier für mehrere Tage Gast in Vollmoellers Florentiner Domizil, der Renaissancevilla Gilli-Pozzino. Anwesend waren auch der Schriftsteller Felix Salten sowie das Ehepaar Lepsius. In den folgenden Jahren trafen Rilke und Vollmoeller einander mehrfach in Paris. Die wichtigsten dichterischen Erträge der Pariser Zeit waren die Neuen Gedichte (1907), Der neuen Gedichte anderer Teil (1908), die beiden Requiem-Gedichte (1909) sowie der bereits 1904 begonnene und im Januar 1910 vollendete Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge.
Für den Leipziger Insel Verlag, dessen Leitung Anton Kippenberg 1905 übernommen hatte, wurde Rilke zum wichtigsten zeitgenössischen Autor. Kippenberg erwarb für den Verlag bis 1913 die Rechte an allen bis dahin verfassten Werken Rilkes.

Innere und äußere Umwälzungen (1910–1919)

Nachdem er Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge 1910 in Leipzig vollendet hatte, begann für Rilke eine tiefe, zwölf Jahre währende Schaffenskrise. Er beschäftigte sich mit Übersetzungen literarischer Werke aus dem Französischen. Auf der Suche nach neuer Inspiration setzte er sich mit klassischen Schriftstellern, erstmals auch intensiver mit dem Werk Goethes und mit Shakespeare auseinander. 1912 begann er die Duineser Elegien, die er jedoch erst im Februar 1922 abschließen konnte. Dieser Gedichtzyklus verdankt seinen Namen dem Aufenthalt Rilkes auf dem Schloss Duino der Prinzessin Marie von Thurn und Taxis bei Triest in der Zeit von Oktober 1911 bis Mai 1912.
1912 erschien eine Neuausgabe der lyrischen Erzählung Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke als Nummer 1 der Insel-Bücherei, mit der das Werk hohe Auflagen und ungewöhnliche Popularität erlangen sollte, nachdem es zunächst 1906 von Rilkes erstem Verleger, Axel Juncker, recht erfolglos als Liebhaberausgabe herausgebracht worden war.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges überraschte Rilke während eines Deutschlandaufenthaltes. Nach Paris konnte er nicht mehr zurückkehren; sein dort zurückgelassener Besitz wurde beschlagnahmt und versteigert. Den größten Teil der Kriegszeit verbrachte Rilke in München. Von 1914 bis 1916 hatte er eine stürmische Affäre mit der Malerin Lou Albert-Lasard. Die Freundschaft zwischen Rilke und Vollmoeller intensivierte sich während des Ersten Weltkriegs, als beide einander auch in Gegenwart von Lou Albert-Lasard sowohl in Berlin wie in München trafen. Rilke nutzte Vollmoellers Beziehungen zum deutschen Generalstab, um ihn bei der Fahndung nach einem vermissten Vetter einzusetzen. Wie der unveröffentlichte Briefwechsel (DLA, Marbach) ausweist, war Vollmoeller erfolgreich und konnte Rilke und dessen Familie mit den gewünschten Informationen versorgen.
Anfang 1916 wurde Rilke eingezogen und musste in Wien eine militärische Grundausbildung absolvieren. Durch Fürsprache einflussreicher Freunde wurde er zur Arbeit ins Kriegsarchiv überstellt und am 9. Juni 1916 aus dem Militärdienst entlassen. Die Zeit danach verbrachte er wieder in München, unterbrochen durch einen Aufenthalt auf Hertha Koenigs Gut Böckel in Westfalen. Das traumatische Erlebnis des Militärdienstes, empfunden auch als eine Wiederholung in der Militärschulzeit erfahrener Schrecken, ließ Rilke als Dichter eine Zeit lang nahezu völlig verstummen.

Das späte Werk (1919–1926)

Am 11. Juni 1919 reiste Rilke von München in die Schweiz. Äußerer Anlass war eine Vortragseinladung aus Zürich, eigentlicher Grund aber der Wunsch, den Nachkriegswirren zu entkommen und die so lange unterbrochene Arbeit an den Duineser Elegien wieder aufzunehmen. Die Suche nach einem geeigneten und bezahlbaren Wohnort erwies sich als sehr schwierig. Rilke lebte unter anderem in Soglio, Locarno und Berg am Irchel. Erst im Sommer 1921 fand er im Château de Muzot, einem Schlösschen oberhalb von Siders im Kanton Wallis, eine endgültige Wohnstätte. Im Mai 1922 erwarb Rilkes Mäzen Werner Reinhart (1884–1951) das Gebäude und überließ es dem Dichter mietfrei.
In einer intensiven Schaffenszeit vollendete Rilke hier innerhalb weniger Wochen im Februar 1922 die Duineser Elegien. In unmittelbarer zeitlicher Nähe entstanden auch die beiden Teile des Gedichtzyklus Sonette an Orpheus. Beide Dichtungen zählen zu den Höhepunkten in Rilkes Werk.

Seit 1923 musste Rilke mit großen gesundheitlichen Beeinträchtigungen kämpfen, die mehrere lange Sanatoriumsaufenthalte nötig machten. Auch der Paris-Aufenthalt von Januar bis August 1925 war ein Versuch, der Krankheit durch Ortswechsel und Änderung der Lebensumstände zu entkommen. Dennoch entstanden auch in den letzten Jahren zwischen 1923 und 1926 noch zahlreiche Einzelgedichte (etwa Gong und Mausoleum) und ein umfangreiches lyrisches Werk in französischer Sprache.
Im Januar und Februar 1926 schrieb Rilke der Mussolini-Gegnerin Gallarati Scotti drei Briefe nach Mailand, in denen er die Herrschaft Benito Mussolinis lobte und den Faschismus als ein Heilmittel pries. Über die Rolle der Gewalt war Rilke sich dabei nicht im Unklaren. Er war bereit, eine gewisse, vorübergehende Gewaltanwendung und Freiheitsberaubung zu akzeptieren. Es gelte, auch über Ungerechtigkeiten hinweg zur Aktion zu schreiten. Italien sah er als das einzige Land, dem es gut gehe und das im Aufstieg begriffen sei. Mussolini sei zum Architekten des italienischen Willens geworden, zum Schmied eines neuen Bewusstseins, dessen Flamme sich an einem alten Feuer entzünde. „Glückliches Italien!“ rief Rilke aus, während er den Ideen der Freiheit, der Humanität und der Internationale eine scharfe Absage erteilte. Sie seien nichts als Abstraktionen, an denen Europa beinahe zusammengebrochen wäre.
Erst kurz vor Rilkes Tod wurde seine Krankheit als Leukämie diagnostiziert, und zwar in einer damals noch wenig bekannten Form. Der Dichter starb am 29. Dezember 1926 im Sanatorium Valmont sur Territet bei Montreux und wurde am 2. Januar 1927 – seinem Wunsch entsprechend – in der Nähe seines letzten Wohnorts auf dem Bergfriedhof von Raron (Schweiz) beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht der von Rilke selbst verfasste und für den Grabstein ausgewählte Spruch:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.

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