Textarchiv - Otto Erich Hartleben https://www.textarchiv.com/otto-erich-hartleben Deutscher Schriftsteller. Geboren am 3. Juni 1864 in Clausthal (Clausthal-Zellerfeld). Gestorben am 11. Februar 1905 in Salò (Italien). de Das Konfirmationskleid https://www.textarchiv.com/otto-erich-hartleben/das-konfirmationskleid <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>In Nordberlin, im Hinterhaus vier Treppen,<br /> wohnt ein Student. Er war nicht reich; doch arm,<br /> blutarm war seine Wirtin, eine Witwe.<br /> Die sass in ihrem düstern Hinterstübchen,<br /> und vor ihr stand bekümmert ihre Tochter,<br /> das bleiche, hübsche, vierzehnjähr’ge Gretchen.<br /> Sie stand vor ihr, als wär’ sie schuldbewusst,<br /> und liess das Köpfchen hängen; ihre Mutter<br /> schalt auf sie ein mit ihrer harten Stimme:</p> <p>»Ein neues Kleid! Zur Konfirmation!<br /> Für’n lieben Gott! Was? – Frag doch mal den Pastor,<br /> ob denn auch die, die nicht mal so viel Geld<br /> bekamen, um in einem ganzen Kleide<br /> des Sonntags in die Kirche gehn zu können,<br /> ob denn auch die an Gott noch glauben müssten!<br /> Geh, frag ihn … aber bitt mich nicht um Geld<br /> Und Kleider … freu dich, wenn du nicht verhungerst …«</p> <p>Und weinend wendet Gretchen sich zur Thür.<br /> Da kommt ihr ein Gedanke. »Mutter«, ruft sie,<br /> »ich will den Herrn Doktor bitten – Mutter!<br /> Was lachst du?« – »Das ist recht! Nur zu!<br /> Es muss ja doch mal kommen. Geh nur hin!« –<br /> »Ich glaube, Mutter, dass er’s thut.« – »Gewiss<br /> Er wäre ja ein Narr, wenn er sich zierte!«<br /> Und wieder lacht sie bitter höhnisch auf.<br /> Ein Bangen vor der Mutter fasst das Kind.<br /> Es geht hinaus und leise, schüchtern klopft es<br /> an des Studenten Thür. »Herein!« Und zagend,<br /> errötend überschreitet sie die Schwelle:<br /> sie hat noch nicht gebettelt. –</p> <p>»Gretchen! Du? –<br /> So komm doch näher, Kind … was giebt es denn?<br /> Was hast du denn? O sieh – du hast geweint!<br /> Gieb mir die Hand: wer hat dir was gethan?« –<br /> Und freundlich fasst er ihre Hand und schaut<br /> in ihre grossen braunen Augen. Flehend,<br /> doch ohne Scheu sind sie auf ihn gerichtet.<br /> Und langsam sagt sie: »Nächsten Sonntag schon …<br /> am Ostersonntag werd ich eingesegnet …<br /> und alle kommen hin in schwarzen Kleidern …<br /> in neuen schwarzen Kleidern … aber ich …<br /> ich bat die Mutter … Ach, wir sind so arm!«<br /> Von jähem Mitleid mit sich selbst bewältigt,<br /> bricht sie aufs neu in heisse Thränen aus,<br /> und, wie nach Tröstung suchend, fasst sie fester<br /> die Hand des jungen Mannes.</p> <p>»Gretchen! Komm:<br /> sei still!« Und ihre linke Hand, mit der<br /> sie ihre Thränen trocknet, zieht er sanft<br /> herab. – »Ich schenk es dir, das schwarze Kleid!«</p> <p>Dann aber stösst er sie fast rauh von sich:<br /> »Ich habe noch zu thun … Komm! Sei gescheit!<br /> Lass meine Hand … Ich habe noch zu thun …«<br /> – – – – – – – – – – – – – –<br /> Am Ostermontag früh – es war bald drei –<br /> kam der Student, der heut im Kreis der Freunde<br /> das Fest, wie sichs gebührt, gefeiert hatte,<br /> vergnügt und aufgeräumt nach Hause.</p> <p>Tastend sucht er auf seinem Nachttisch nach dem Feuer.<br /> Er streicht ein Zündholz an – »Was?« Alsogleich<br /> lässt er es wieder fallen. »Was war das?« –<br /> ’s ist wieder dunkel. »Bin ich denn bezecht?«<br /> Und wiederum streicht er ein Zündholz an.<br /> Doch diesmal zittert seine Hand. Er sieht<br /> nicht auf das Bett, bevor die Kerze nicht<br /> brennt – »Himmel!«<br /> Auf dem offnen Bette liegt<br /> in festem Schlafe Gretchen: noch geschmückt,<br /> wie sie es Gott zu Ehren that. Das Kleid<br /> ist aufgeknöpft – in ihrem Schosse liegt<br /> noch der verwelkte Strauss, und heitrer Friede<br /> ruht auf dem zarten Antlitz. Halb geöffnet<br /> sind ihre Kinderlippen, und ein Traum<br /> spielt wie ein Blütenduft um diese Lippen …</p> <p>Minutenlang betrachtet er dies Bild,<br /> starr, ohne Denken. Glühend heiss fühlt er<br /> das Blut in seinen Adern, wieder dann<br /> spürt er ein eiskalt Schauern bis ins Mark.<br /> Doch dann besinnt er sich und fährt sich über<br /> die Stirne mit der Hand und sucht zu lachen.</p> <p>»Gretchen!« Sie lächelt still im Traume. »Gretchen!«<br /> Sie fährt empor – der Friede ist gewichen,<br /> und Schreck und Scham malt sich auf ihren Wangen.<br /> »Mein liebes Kind, wie kommst du denn hieher?<br /> Hast du im Zimmer dich geirrt?« – Sie hält verwirrt<br /> ihr Kleid zusammen, senkt das Köpfchen. »Nein,«<br /> sagt sie, »die Mutter schickte mich hierher.<br /> Ich sollte Sie erwarten … Ihnen danken …<br /> Sie hätten’s so gewünscht –«</p> <p>»Ich?! – Doch, jawohl …<br /> Ich … wollte dich noch sehn in deinem Kleide,<br /> ich dachte nicht … es ist so spät geworden,<br /> und dann, der … der Pastor gab euch jedem doch<br /> ein Bibelwort, – nicht wahr? Wie hiess denn deins?«</p> <p>Sie knöpft an ihrem Kleide. »Selig sind,<br /> die reines Herzens sind.« Sie sitzt und knöpft<br /> an ihrem Kleide.</p> <p>»Komm, nun geh hinüber.<br /> Und schlafe weiter: bist gewiss recht müde.«<br /> Er führt sie an der Hand zur Thür. Da tritt<br /> die Alte ein.</p> <p>Sie lacht – verächtlich fast:<br /> »Sie woll’n sie nicht? Auch gut. Es kommt ein andrer …<br /> der andere, der immer kommt. Gut Nacht!<br /> Wir wollten uns nicht lumpen lassen … Komm!« –</p> <p>Und hinter ihnen fällt die Thür ins Schloss.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/otto-erich-hartleben" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Otto Erich Hartleben</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/otto-erich-hartleben/das-konfirmationskleid" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Das Konfirmationskleid" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sat, 27 Jun 2015 22:00:02 +0000 akessler 1042 at https://www.textarchiv.com Ein Sehnen https://www.textarchiv.com/otto-erich-hartleben/ein-sehnen <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Sprödes, knospenscheues Mädchen,<br /> Könnt’ ich einmal noch dich küssen<br /> Scheu wie einst, da du errötet,<br /> Hab’ auch selbst erröten müssen!</p> <p>Die gesenkte braune Wimper<br /> Hielt den süssen Groll zusammen,<br /> Hielt die zage Glut verborgen,<br /> Deines Busens erste Flammen.</p> <p>Könnt’ ich einmal noch beklommen,<br /> Reinen Herzens so dich schauen,<br /> Da ich reuevoll und bangend<br /> Hing an deinen Augenbrauen!</p> <p>Was ich gierig je genossen,<br /> Trüben Lebens wilde Lüste,<br /> Gäb’ ich hin für jenes Zagen,<br /> Da ich scheu zuerst dich küsste.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/otto-erich-hartleben" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Otto Erich Hartleben</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/otto-erich-hartleben/ein-sehnen" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Ein Sehnen" class="rdf-meta element-hidden"></span> Fri, 03 Apr 2015 17:24:11 +0000 akessler 1032 at https://www.textarchiv.com